Foto: Sandra Wellmann
Ich erlebe es in meiner Tätigkeit als Mentalcoach aktuell von Tag zu Tag häufiger: Klienten klagen über mentale Erschöpfung, Lust- und Antriebslosigkeit.
Aus meiner Sicht hat dies vor allem folgende Ursachen:
Unser Gehirn arbeitet mit Verknüpfungen: Vereinfacht ausgedrückt, gleicht es ständig neue Eindrücke und Begebenheiten mit bereits Erlebtem ab. War ich schon einmal in dieser Situation? Wenn nicht: Kenne ich ähnliche Situationen, die mit der aktuellen vergleichbar sind? Kann ich meine Lösungsansätze von damals auf die neue Situation übertragen?
In der aktuellen Corona-Pandemie werden wir nun jedoch mit Konstellationen konfrontiert, für die wir keinerlei Referenz-Erfahrungen haben. Nicht nur, dass wir selbst noch nie in dieser oder einer ähnlichen Situation waren, mit wochen-, möglicherweise monatelanger körperlicher Distanz zu anderen, uns wichtigen Menschen, Unterbindung vieler sozialer Kontakte durch (sinnvolle und wichtige!) Verbote, dem Tragen von Gesichtsmasken und so weiter. Schlimmer noch: Wir kennen noch nicht einmal vertraute Menschen, die so etwas schon einmal erlebt haben und uns mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen könnten.
Für unser Gehirn bedeutet dies: Es muss deutlich tiefer in seinen Erfahrungsfundus greifen und findet wahrscheinlich dennoch nur sehr punktuell übertragbare Referenz-Erfahrungen. Das führt zu einem deutlich größeren Energie-Aufwand bei der Verarbeitung der neuen Corona-Situation, was gerade mental Untrainierte schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt.
Veranstaltungen sind auf Monate hinaus abgesagt, sogar Events am Ende des Jahres befinden sich momentan oft in der Schwebe. Geschäftskonzepte werden aktuell mindestens angepasst, wenn nicht sogar komplett über den Haufen geworfen. Die Überlebenschancen zahlreicher Unternehmen ist gänzlich ungewiss, und damit verbunden auch die Zukunft unzähliger Arbeitsplätze. Kaum jemand kann heute schon mit Gewissheit vorhersagen, wie sein Leben in einigen Monaten aussehen wird.
Und diese Planungsunsicherheit – um nicht zu sagen: Planungslosigkeit – macht uns mental schwer zu schaffen. Wir sind es – insbesondere in den westlichen Kulturkreisen – gewohnt, uns an mittel- bis langfristigen Zielen auszurichten. Wo diese wegfallen oder ihre Erreichung doch zumindest deutlich stärker als sonst von externen, von uns nicht zu beeinflussenden Faktoren abhängt, da bahnt sich Antriebslosigkeit schnell ihren Weg. Denn warum sollten wir uns auf den Weg machen, wenn wir gar nicht wissen, wohin?
Ein empfehlenswerter erster Schritt: Lasst uns unsere Ziele deutlich kurzfristiger setzen. Die Zukunft zu beeinflussen, gelingt uns schon in „normalen“ Zeiten allenfalls in der Gegenwart. Derzeit, wo auch das entfällt, bleibt uns nur, hier und jetzt das Hier und Jetzt zu gestalten. Wenn ich mit meinen Sportlern in der Nachanalyse scheinbar ausweglose Wettkampf-Situationen bespreche, so lautet mein Rat meist: „Konzentriere Dich nur auf den nächsten Ballwechsel, nur auf die nächste Runde, nur auf das nächste Hindernis.“ Jeder Gedanke daran, wie wahrscheinlich es ist, dass unsere langfristigen Ziele überhaupt erreichbar sind, ist überflüssig und wird uns im Zweifel eher mutlos machen.
Apropos Wahrscheinlichkeit: Gestern erzählte mir ein Leistungssportler, dass ihm die Unsicherheit darüber, ob ein wichtiger Wettbewerb Ende des Jahres überhaupt stattfinden wird, jegliche Motivation für eine adäquate Wettkampfvorbereitung raube: „Wahrscheinlich wird die Veranstaltung abgesagt. Aber wenn ich nicht trainiere und sie dann doch stattfindet – dann habe ich von vorneherein verloren. Was soll ich machen?“
Meine Empfehlung lautete: „Entscheide Dich. Entweder Du setzt darauf, dass der Wettkampf stattfindet, planst Dein Training entsprechend und ziehst es auch durch. Oder Du entscheidest Dich frühzeitig dagegen. Aber beides bitte mit allerletzter Konsequenz.“ Ich bin kein Freund von Wahrscheinlichkeitsrechnungen im Kopf. Denn selbst wenn wir zu 90% mit einem positiven Ausgang rechnen, so bleiben die 10% Wahrscheinlichkeit des negativen Ausgangs dennoch als Visualisierung in unserem Kopf.
Meine Empfehlung: Selbst wenn die Chancen schlecht stehen, dass alles gut wird – lasst uns uns darauf fokussieren, dass es hundertprozentig eine Chance für einen positiven Ausgang gibt.
(Dieser Artikel erschien am 22. April 2020 auf LinkedIn.)